Systemarchitekturen in Bau- und Immobilienwirtschaft

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Die Digitalisierung gehört zu den wichtigsten Entwicklungen der vergangenen Jahre. Bau- und Immobilienbranche hinken seit Jahren anderen Branchen hinterher. Eine der größten Hürden auf dem Weg zur Digitalisierung eines Unternehmens sind die Schnittstellen zwischen unterschiedlichen Tools. Die Applikationslandschaft vieler Baufirmen und Unternehmensentwickler gleicht einem Fleckerlteppich. Oftmals wurden viele Insellösungen zusammengekauft, die irgendwann irgendjemandem im Unternehmen gut gefallen haben. Heute verursachen sie großen Aufwand durch Mehrfacheingaben und verhindern automatisierte Prozesse. Ich behaupte dies muss nicht sein und lehne mich mit folgender provokanten These sogar noch weiter aus dem Fenster: „Kein Bau- oder Immobilienunternehmen, unabhängig von seiner Größe, benötigt mehr als drei zu integrierende Produktfamilien.“

Um nicht in Gefahr zu laufen eine mögliche Wette zu verlieren möchte ich einen kleinen Disclaimer anbringen: spezialisierte Produktaufsätze von Drittfirmen zählen zur gleichen Produktfamilie wie das Basisprodukt (da sich der Anbieter hier um die notwendigen updates kümmert) und reine (Web-)lösungen ohne Anbindungsbedarf zählen nicht als Applikation.

Wie komme ich zu so einer gewagten Aussage?

Nachfolgende Grafiken gibt zunächst einen Überblick über die Prozesse von Immobilienentwicklern sowie deren Bedarf an Applikationsunterstützung:

Jeder Immobilienentwickler ein Kalkulations- und Controllingtool benötigt (welches durchaus selbstgestrickt sein kann); je nach Größe und Outsourcinggrad kommt noch weiterer Applikationsbedarf hinzu. Eine Sonderstellung nimmt das Rechnungswesen ein, welches vor allem bei kleineren Entwicklern outgesourct sein kann. Dennoch werden definitiv regelmäßig Daten für Projektkalkulation und Controlling benötigt, sodass dies beim Entwurf der Applikationslandschaft mitzudenken ist.

Um meine Behauptung zu untermauern wechsle ich nun kurz die Betrachtungsweise und definiere Microsoft als gesetzt. Ein Leben ohne Excel, PP und Word ist heutzutage schlicht undenkbar.

Umgekehrt gedacht können durch Einsatz der Microsoft Produktfamilie Kalkulation und Controlling (Excel), die IT-Prozesse (z.B. Intune für Geräteverwaltung) und auch Workflows (Automate) abgebildet werden, ebenso die Ablage mittels Sharepoint und Onedrive.

Bei kleineren Entwicklern kann auch das Tender- und Project Management durch den Einsatz von Microsoft Produkten (Word, Outlook und v.a. MS Project), allenfalls unter Ergänzung einer nicht zu integrierenden Weblösung für das Mängelmanagement, gut abgebildet werden.

Keine gute Abbildung der Bedürfnisse von Immobilienentwicklern durch die Microsoft Produktpalette sehe ich hinsichtlich Lohnverrechnung, Buchhaltung und Vermarktung/CRM. Inwieweit ein CRM benötigt wird, ist im Einzelfall kritisch zu hinterfragen, doch ist es auch bei „kleineren“ Entwicklern, die z.B. ein Projekt mit 100 Wohneinheiten entwickeln, nicht auszuschließen.

Benötigt ein kleinerer Entwickler kein CRM und laufen Lohnverrechnung und Buchhaltung beim Steuerberater, so ist ein reiner Microsoft Ansatz durchaus zielführend. Wichtig ist in diesem Fall allerdings die prozessuale wie toolseitige Schnittstelle zum Tool des Steuerberaters (meist BMD) sauber zu definieren und umzusetzen.

Sollten Lohnverrechnung und Buchhaltung nicht outgesourct sein und wird tatsächlich ein CRM benötigt, so stellen die hierfür angeschafften Applikation Nummer 2 und 3 dar.

Eine mögliche solche Kombination wäre z.B. Microsoft, BMD und Salesforce.

Bei größeren Entwicklern können Buchhaltung-/Lohnverrechnung-/Zahlungsverkehr, CRM und ein möglicher sonstiger HR Bedarf (Recruiting, Personaldisposition, etc.) in SAP abgebildet werden, sodass theoretisch mit SAP und Microsoft bereits alles abgedeckt ist. Fairerweise stellt sich bei großen Entwicklern die Frage, ob eine professionelle integrierte Projektkalkulations- und Planungslösung (statt Excel) nicht angebracht wäre. Die Auswahl einer solchen großskalierbaren Projektkalkulations- und Planungslösung ist eine Wissenschaft für sich. Dennoch, mehr als 3 Produktfamilien werden es auch hier nicht.

Wenden wir uns nun dem Baugeschäft zu. Nachfolgende Grafiken gibt wieder den Überblick über Prozesse und deren Bedarf an Applikationsunterstützung:

Aufgrund der geringen Margen und des hohen Zeitdrucks halte ich Toolunterstützung über nahezu alle Phasen des Kernleistungsprozesses und auch für das laufende Controlling bei Baufirmen jeder Größe für zwingend erforderlich. Je nach Größe der Baufirma kommt noch Bedarf in den Feldern Bauprojektmanagement, HR, Finanzierung (Avale) und IT hinzu.

Für die Analyse wechseln wir abermals die Perspektive. Microsoft ist auch bei einer Baufirma gesetzt, wodurch wiederum zumindest IT-Prozesse, Workflows, Ablage und Projektzeitplanmanagement abgedeckt sind. Ob auch Angebotskalkulation und -legung, Ausschreibung, Vergabe und Abrechnung in der Microsoftwelt gemacht werden können, hängt stark von der Größe der Baufirma ab. Im Gegensatz zu Immobilienentwicklern, wo ein professionelles Kalkulationstool erst bei sehr großen Playern notwendig ist, stoßen hier sicher auch bereits kleinere Baufirmen an ihre Grenzen.

Für kleine Baufirmen, die ihr Rechnungswesen beim Steuerberater laufen haben und keine Avalverwaltung benötigen, ist also auch hier ein reiner Microsoft Ansatz denkbar.

Wird das Rechnungswesen selbst betrieben, so werden die Bereiche Buchhaltung, Lohnverrechnung, Zahlung und Avale durch die ERP-Applikation abgedeckt. Das zuvor bereits angesprochene AVA Tool für die Bereiche Angebotskalkulation und -legung, Ausschreibung, Vergabe und Abrechnung wäre der Dritte im Bunde.

Anders als bei einem kleineren Immobilienentwickler, ist das CRM Thema bei einer kleineren Baufirma nicht virulent. 10-20 Kunden und durchaus auch ein Mehrfaches an potenziellen Interessenten lassen sich in MS Outlook verwalten. Bei einer größeren Firma ist bei der Wahl des ERP Systems darauf zu achten, dass dieses neben dem Rechnungswesen und dem Controlling auch das CRM Thema abdeckt.

Zwei mögliche Toolkombinationen, die den gesamten Bedarf einer Baufirma abdecken sind z.B. Auer/BMD/Microsoft oder iTwo/SAP/Microsoft.

Ich möchte an dieser Stelle nicht den Eindruck erwecken, dass die Digitalisierung der Bau- und Immobilienbranche leicht ist. Die Definition der Prozesse über mehrere Tools hinweg (z.B. Stammdatenpflege) ist ebenso wenig leicht wie die Programmierung der Schnittstellen. Letzteres insbesondere vor dem Hintergrund, dass manche Applikationshersteller diesbezüglich nicht besonders aufgeschlossen sind.

Auch möchte ich die oben angeführte Produktkombinationen nicht als vorbehaltlose Empfehlungen verstanden wissen. Welche Tools für ein Unternehmen die richtigen sind lässt sich erst nach einer entsprechenden Analyse sagen. Was sich aber definitiv sagen lässt, ist, dass die Digitalisierung eines Unternehmens bei einem entsprechenden Systemwildwuchs zum Scheitern verurteilt ist. Und, dass man mit 3 Produktfamilien Baufirmen und Entwickler jeder Größe prozessual versorgen kann.